Sprache und Kastanien …

Kastanien?

An diesem einfachen Beispiel erkläre ich gerne, wie die Möglichkeiten, Kinder im Alltag sprachlich zu fördern quasi „von den Bäumen fallen“. Es braucht nichts Besonderes Kinder zu fördern, denn mit ihnen wachsam durch die Natur zu schlendern hat einen immensen Lerneffekt.    
Bei jedem Wetter an die frische Luft und sich bewegen, durch den Wald spazieren, am Bach spielen oder zum nächsten Spielplatz … ein Muss für Kinder! Erst wenn es in Bächen regnet und das Wetter so richtig scheußlich wird, ist ein gemütlicher Fernsehnachmittag nicht zu verachten.

In meinem Garten steht ein Kastanienbaum und die Kastanien fallen oft auch auf die Straße, an dem immer wieder Familien zum nahen Spielplatz spazieren. Ich freue mich immer riesig, wenn ich eine kindliche Stimme durch die Hecke höre „Oh eine Kastanie“, dann raschelt es meistens und es wird gesammelt.
Wenn dann Eltern antworten: „Schau, hier ist die Schale. Lass uns auch noch Blätter mitnehmen“, dann freut es mich als Logopädin noch mehr. Das ist Wortschatzerweiterung und viele Kinder lernen im Herbst ein neues Wort „Kastanie“. Vielen Eltern ist das in diesem Moment natürlich nicht bewusst. Die Kinder können erfahren, was Früchte sind … Baum … Stamm … Schalen … Stacheln … herunterfallen … sammeln … Herbst … Erntezeit … und so vieles mehr. Jedes Wort, das in einen Kontext eingebettet ist und mit eigenem Tun verbunden ist, prägt sich viel stabiler ein. Je stabiler der Grundwortschatz eines Kindes ist, also je stabiler sich die ersten Begriffe eingeprägt haben, umso leichter erlernt es später, z.B. in der Schule auch abstrakte Begriffe, die dann das Wissen der Kinder ausmachen.  

Leider erleben heute Kinder die „Worte“ oft nur aus zweiter Hand. Das eigene Erleben ist für den frühen Wortschatzerwerb das Wichtigste. Eine Kastanie selbst aufzusammeln, mitzunehmen, sie wie einen Schatz in der Hosentasche zu bewahren, sie zu spüren und zu Hause vielleicht noch etwas daraus zu basteln ist etwas anderes als nur ein Buch über den Herbst vorgelesen zu bekommen oder eine Kindersendung (davon gibt es natürlich auch sehr gute!) anzusehen. Ich rege Kinder immer an, mit Kastanien zu spielen. Großzügig verschenke ich meine gesammelten Kastanienschätze. Man kann Kastanien einkaufen, wiegen oder im Spiel damit bezahlen, sie in Geschichten einbetten. Beim Ritterspiel sind Kastanien meine Kanonenkugeln … Ich bin ein Kastanienfan, weil sie so universell einzusetzen sind.

Einmal von Sammlerleidenschaft gepackt, wird den Kleinen schnell klar, dass ein Kastanienbaum anders aussieht als andere Bäume. „Papa, ist das dort ein Kastanienbaum?“ Das Kind lernt, dass der Oberbegriff „Baum“ viele Unterbegriffe hat und nicht jeder Baum automatisch ein Kastanienbaum ist. Auch das ist eine grundlegende Wortschatzfunktion.

Aus Kastanien und Zahnstochern werden ganze Zoos … „Was braucht ein Tier?“ … „vier Beine“ … „einen Hals“ … „einen Kopf“ … „ein Gesicht“ … Das kann im Handumdrehen gebastelt werden. Auch hier erweitert sich der Wortschatz, strukturiert sich. Kinder lernen, in semantischen Feldern (Bedeutungsfeldern) zu denken und distinktive Merkmale zu erkennen, nämlich worin unterscheidet sich abstrakt eine Giraffe von einer Kuh. Mit einfachsten Mitteln und nebenher kann so eine wichtige Funktion des Wortschatzerwerbs unterstützt werden.

Unser Alltag und die Natur sind voller einfacher Beispiele, mit denen Kinder Grundlegendes lernen können. Kinder brauchen nicht viel, nur Eltern die achtsam mit ihnen sind und sich noch ein bisschen Phantasie erhalten haben. Viel Freude im Herbst!